Die Kohte
Der Sohn von Tusk kam 1994 aus den Vereinigten Staaten, wo er Architekt in einer großen Stadt ist, auf unser Oktoberlager. Zum ersten Mal sah er diese dreieckigen und viereckigen Tücher, die sich sein Vater ausgedacht hatte. Er war tief beeindruckt, lief durch den Matsch um die Zelte und machte haufenweise architektonische Skizzen. "Well", sagte er, "Grundthema jeglicher Architektur ist die Grundspannung zwischen Innen und Außen."
Die Kohte. Vier Tücher, durch Seile gehalten, an einen Ast gehängt. Die Kulisse für unsere Bauwerke ist die immer andere organisch-chaotische Natur. Wir schweifen in der Landschaft umher und finden oft instinktiv, unter Ausschluss der vielen anderen Möglichkeiten genau den richtigen Platz für sie. Dort, und nur dort, integrieren wir eine schwarze Pyramide in die vorgefundene natürliche Situation. Nichts anderes macht der Künstler Christo bei seinen Happenings, wenn er Tücher in Landschaften stellt. Unsere geometrische schwarze Pyramide lebt in großer Spannung mit der bunten und vielfältig strukturierten Natur. Beide haben einander viel mitzuteilen, sie erklären sich gegenseitig. Die Grenze zwischen Innen und Aussen ist sehr dünn, flexibel und durchlässig.
Wir schlüpfen in die Pyramide hinein. Mehr oder minder deutlich ergreift uns ein gewisses Kohtengefühl das wir im Laufe der Zeit entwickelt haben. Wie in einer mongolischen Jurte, die ein verkleinertes Abbild der Welt ist, hat in der Kohte alles seinen Platz. Ihr Kern ist das Feuer. Die Handlungen werden zu Riten, sei es Holz nachlegen oder Teekochen.
Wir stellen ein Immer-Gleiches, das uns ein Zuhause ist, mitten in ein Immer-Anderes hinein. So wird auch das Fremde heimisch. Wenn wir am Platz ankommen, wirkt er zunächst verschlossen, ja fast abweisend. Im Laufe der Stunden nisten wir uns, von der Kohte konzentrisch ausbreitend, im Gelände ein. Aber die Kohte ist flüchtig, frei, vergänglich. Wenn wir dann weiterziehen, ist schon etwas Wehmut im letzten Blick zurück zum beheimateten Bezirk. Unsere kleine Welt hinterlässt keine Spuren. Nur in uns bleibt etwas meist Unaussprechliches zurück.